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UN-Sicherheitsratssitzung zur Ukrainischen Russophobie


 

Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 14.03.2023
In einer von der Russischen Föderation beantragten Sitzung des UN Sicherheitsrates wurden am 14.03.2023 drei voneinander abweichende Darstellungen zu den Geschehnissen in der Ukraine vorgetragen. Ein Vertreter der Russischen Föderation sagte, dass sein Land um das heutige Treffen ersucht  habe, um die Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit durch die Russophobie der Ukraine zu unterstreichen.

 

Es sprachen:

1.     Kirill Vyshinsky, Exekutivdirektor von Rossiya Segodnya

2.     Dmitry Vasilets, stellvertretender Leiter der Ukrainischen Gewerkschaft der Rechtsangestellten

3.     Timothy Snyder, Professor für Geschichte an der Yale University

 

Hier das übersetzte Transkript des Vortrages Timothy Snyders:

Sehr geehrte Damen und Herren,

es freut mich sehr, hier zu sein. Ich werde versuchen, meine Bemerkungen kurz zu halten. Ich spreche zu Ihnen als Historiker der Region [ der Ukraine, Anm. des Übersetzers ], als Historiker Osteuropas und insbesondere als Historiker des Massenmords und der politischen Gräueltaten.

Ich glaube, dass die Diskussion, die wir heute über dieses Wort Russophobie führen, einiges sehr wichtiges über den Charakter des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und über den Charakter der illegalen Besetzung des ukrainischen Territoriums durch Russland erklären kann.

Ich werde mich auf zwei Hauptpunkte beschränken. Mein erster Punkt ist, dass Schaden für Russen und Schaden für die russische Kultur in erster Linie eine Folge der russischen Politik ist, und wenn wir uns Sorgen über den Schaden für Russen und die russische Kultur machen, dann sollten wir uns Sorgen machen über die Politik des russischen Staates.

Mein zweiter Punkt ist, dass der Begriff Russophobie, über den wir heute sprechen, während dieses Krieges eine Form der imperialen Propaganda war, eine Form der imperialen Rechtfertigung für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine.

Beginnend mit dem ersten Punkt; Die Prämisse, wenn wir über Russophobie sprechen, ist dass wir uns Sorgen bzgl. des Schadens für Russen machen, das ist die Prämisse, die ich sicherlich teile. Ich teile die Sorge um die Russen. Ich teile die Sorge um die russische Kultur. Denken wir also an die Geschehnisse im vergangenen Jahr, die den Russen und der russischen Kultur den größten Schaden zugefügt haben. 10 nenne ich kurz.

Nummer Eins

Die kreativsten und produktivsten Russen zum Auswandern zu zwingen. Die russische Invasion in der Ukraine hat dazu geführt, dass etwa 750 000 Russen Russland verlassen haben, darunter einige der kreativsten und produktivsten Menschen. Dies ist ein irreparabler Schaden für die russische Kultur.

Nummer zwei

Die Zerstörung des unabhängigen russischen Journalismus, damit die Russen nichts über die Welt um sich herum erfahren können. Auch dies ist russische Politik und fügt der russischen Kultur irreparablen Schaden zu.

Nummer drei

Allgemeine Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Russland in russischer Sprache. Und das ist eine Ironie,  es ist beachtenswert, dass man in der Ukraine sagen kann, was man will, entweder auf Russisch oder Ukrainisch, in Russland kann man das nicht. Wenn Sie sich in Russland mit einem Schild hinstellen, das Nein zum Krieg sagt, werden Sie verhaftet und sehr wahrscheinlich eingesperrt. Wenn Sie sich in der Ukraine mit einem Schild hinstellen, das Nein zum Krieg sagt, egal in welcher Sprache, wird Ihnen nichts passieren. Russland ist ein  Land, in dem es eine Sprache gibt, und man kann sehr wenig sagen. Die Ukraine ist ein Land, in dem es zwei Sprachen gibt und wo man sagen kann, was man will. Wenn ich die Ukraine besuche, berichten mir Leute über russische Kriegsverbrechen, indem sie beide Sprachen verwenden - Ukrainisch oder Russisch – wie sie es bevorzugen.

Nummer vier

Der Angriff auf die russische Kultur durch die Zensur von Schulbüchern, die Schwächung der russischen Kultur zu Hause, die Zerstörung von Museen und Nichtregierungsorganisationen, die sich der Erinnerung an die russische Geschichte widmen, all das ist russische Politik.

Nummer fünf

Die Perversion der Erinnerung an den großen Vaterländischen Krieg durch einen Angriffskrieg in den Jahren 2014 und 2022, wodurch alle zukünftigen Generationen von Russen dieses Erbes beraubt werden. Das ist russische Politik, das ist ein großer Schaden für die russische Kultur.

Nummer sechs

Die Herabstufung der russischen Kultur auf der ganzen Welt und das Ende dessen, was früher Ruskimir, die russische Welt im Ausland, genannt wurde. Früher gab es in der Ukraine viele Menschen, die über Russland und die  russische Kultur freundlich dachten. Dem wurde durch die russische Invasion ein Ende bereitet. Und das ist russische Politik.

Nummer sieben

Der Massenmord an Russischsprachigen in der Ukraine. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat mehr Russisch sprechende Menschen getötet als jede andere Aktion, es gibt bei weitem kein Vergleich. Und natürlich

Nummer acht

Russlands Invasion in der Ukraine hat zum Massenmord an russischen Bürgern geführt, etwa 200 000 sind tot oder verstümmelt, und eben das ist russische Politik. Es ist russische Politik, junge Russen in einen Angriffskrieg zu schicken.

Nummer neun

Dieser Krieg bedeutet auch, dass eine Generation junger Russen, die überleben, in Kriegsverbrechen verwickelt sein werden, für den Rest ihres Lebens in Traumata und Schuldgefühle verwickelt sein werden. Das fügt der russischen Kultur großen Schaden zu. Verursacht wurde dies primär während des letzten Jahres durch die russische Regierung selbst. Wenn wir uns also ernsthaft Sorgen um den Schaden für die Russen machen würden, wären dies die Dinge, über die wir nachdenken würden. Aber vielleicht ist die schlimmste russische Politik in Bezug auf die Russen der letzte Punkt:

Nummer Zehn

Und das ist das nachhaltige Trainieren oder die Edukation der Russen dazu zu glauben, dass Völkermord normal sei. Wir sehen dies in den wiederholten Behauptungen des russischen Präsidenten, dass die Ukraine nicht existiert. Wir sehen dies in Völkermordphantasien in russischen Staatsmedien. Wir sehen dies in einem Jahr, in dem das Staatsfernsehen Millionen – zig Millionen der russischen Bevölkerung jeden Tag erreicht.

Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen die Ukrainer als Schweine darstellt. Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen die Ukrainer als Parasiten darstellt. Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen die Ukrainer als Würmer darstellt. Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen Ukrainer als Satanisten oder als Ghule darstellt. Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen verkündet, dass ukrainische Kinder ertränkt werden sollten. Wir sehen dies, wenn das russische Staatsfernsehen verkündet, dass ukrainische Häuser mit den Menschen darin niedergebrannt werden sollten. wir sehen dies, wenn Leute im russischen Staatsfernsehen auftreten und sagen:

„Sie sollten überhaupt nicht existieren, wir sollten sie durch ein Erschießungskommando hinrichten.“

Wir sehen dies, wenn jemand im russischen Staatsfernsehen auftaucht und sagt, wir werden eine Million töten, wir werden 5 Millionen töten, wir können euch alle ausrotten, alle Ukrainer.

Nun, wenn wir ernsthaft besorgt über Schäden für die Russen wären, wären wir besorgt darüber, was die russische Politik den Russen antut. Die Behauptung, die Ukrainer seien Russophoben, ist ein weiteres Element der russischen Hassreden.

Im russischen Staatsfernsehen werden andere Behauptungen über Ukrainer vermischt mit der Behauptung, die Ukrainer seien Russophoben. So behauptete zum Beispiel der Redner in der Erklärung, dass alle Ukrainer ausgerottet werden sollten. Der Grund, den er angab, war, dass sie alle ausgerottet werden sollten, weil sie Russophoben seien.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt. Die Behauptung, dass die Ukrainer getötet zu werden müssen, weil sie eine Geisteskrankheit haben, die als Russophobie bekannt ist, ist schlecht für die für Russen, weil sie sie in  Völkermord unterrichtet.

Aber natürlich ist eine solche Behauptung für Ukrainer viel schlimmer, und das ist mein zweiter Punkt. Der Begriff Russophobie ist eine rhetorische Strategie, die wir aus der Geschichte des Imperialismus kennen. Wenn ein Imperium angreift, behauptet es, dass es das Opfer ist. Die Rhetorik, dass die Ukrainer irgendwie russophob sind, wird vom russischen Staat benutzt, um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen.

Aber natürlich ist es der Angriffskrieg, es ist dieser Rahmen, auf den es ankommt – die Invasion selbst. Die Zerstörung ganzer ukrainischer Städte, die Hinrichtung ukrainischer lokaler Führer, die erzwungene Deportation ukrainischer Kinder, die Vertreibung von etwa der Hälfte der ukrainischen Bevölkerung, die Zerstörung von Hunderten von Krankenhäusern und Tausenden von Schulen, die absichtliche Zerstörung der Wasser- und Wärmeversorgung im Winter. Das ist das Setting. Das ist, was tatsächlich passiert.

Der Begriff Russophobie ist eine Behauptung der imperialen Macht, dass sie das Opfer ist, auch wenn sie einen Krieg der Gräueltaten führt. Dies ist ein historisch typisches Verhalten. Die imperiale Macht entmenschlicht das eigentliche Opfer und behauptet, selbst das Opfer zu sein.

Wenn sich das Opfer dagegen wehrt, angegriffen zu werden, ermordet zu werden, kolonisiert zu werden, dann sagt das Imperium, dies sei inadäquat, dies sei eine Krankheit, eine Phobie.

Diese Behauptung, dass die Opfer irrational sind, dass sie phobisch sind, dass sie eine Phobie haben, soll von dem tatsächlichen Erfahren der Opfer in der realen Welt ablenken, welches ein Erfahren von Aggression und Krieg und Gräueltaten ist.

Der Begriff Russophobie ist eine imperiale Strategie, die darauf abzielt, das Thema von einem tatsächlichen Angriffskrieg auf die Gefühle der Aggressoren zu verlagern und dadurch die Existenz und die Erfahrung der Menschen zu unterdrücken, welche am meisten geschädigt werden.

Der Imperialist sagt: wir sind die einzigen Menschen hier, wir sind die wahren Opfer, und unsere verletzten Gefühle zählen mehr als das Leben anderer Menschen.

Russlands Verbrechen können und werden nach ukrainischem und  internationalen Recht evaluiert werden, weil sie auf ukrainischem Territorium stattfinden. Mit bloßem Auge können wir sehen, dass es einen Angriffskrieg gibt, Verbrechen an der Menschlichkeit und Völkermord.

Die Verwendung des Wortes Russophobie, die Behauptung, dass die Ukrainer krank sind und keine Gräueltaten erleben, ist koloniale Rhetorik und Teil einer umfassenderen Praxis der Hassrede.

Deshalb ist diese Sitzung wichtig. In Russlands Völkermord-Hassreden wird die Idee, dass Ukrainer eine Krankheit namens Russophobie haben, als Argument verwendet, um sie zu zerstören, zusammen mit den Argumenten, dass sie Ungeziefer-Parasiten-Satanisten sind und so weiter.

Die Behauptung, das Opfer zu sein, wenn man in Wirklichkeit der Aggressor ist, ist nicht Teil der Verteidigung, sondern Teil des Verbrechens. Hassreden gegen Ukrainer sind nicht Teil der Verteidigung der Russischen Föderation, sondern Teil der Verbrechen, die russische Bürger auf ukrainischem Territorium begehen. In diesem Sinne hat der russische Staat mit der Einberufung dieser Sitzung einen neuen Weg gefunden, Kriegsverbrechen zu gestehen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.



 

Quellen

https://press.un.org/en/2023/sc15226.doc.htm

https://www.youtube.com/watch?v=P9c3-Ps3TjI

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